Falk Dübbert

Eigentlich läuft es richtig gut bei Garmin. Das erste Quartal 2024 war großartig. Der Aktienkurs überholt in Sachen Steigerung sogar Bitcoin in besseren Tagen.

Aber dann kam Samsung und sprach im April gezielt Laufeinsteiger an – mit AI-Training. Das soll sogar richtig gut sein im Gegensatz zu Garmins Sortieralgorithmus, der dazu neigt schwachen Sportlern durch Mangel an Trainingsreizen in ein Loch fallen zu lassen.
Ob es einen Zusammenhang oder nur ein Zusammenfallen gibt, wird man außerhalb Garmins Vorstand nie erfahren, aber eine Woche nach dem Samsung begann in Social Media um alle Sportkanäle massiv mit dem AI-Training zu werben, beendete Garmin die zaghaft geöffnete Beta-Test-Phase für die Weboberfläche und die Apps und ging zum Roll-Out über. Die Messwerte werden jetzt auf den Überblickseiten sowohl in der App als auch auf der Webdarstellung nun als Kacheln angezeigt von denen man 6 bzw. 8 aus 20 auswählen darf.

Das Ergebnis: Die User sind massiv unzufrieden. Das geänderte Bedienschema fällt komplett durch und die Anwender beklagen den ersatzlosen Verlust ihrer Dashboards in der Web-Ansicht, die willkürliche Kopplung der Ansichten von App und Web und den fehlenden Zugriff auf 9 der 29 Metriken auf der Startseite. App-seitig haben zumindest die Android-Nutzer die Möglichkeit des Downgrades auf 4.77, aber das funktioniert auch nur solange, wie Garmin es zulässt.

In beiden Stores, PlayStore und AppStore fiel die Bewertung massiv. Bei Google von 4,8 auf 3,8. Über 12% der User vergeben nur einen Stern.
Das. Ist. Massiv. Die Antworten des Supports sind erkennbar genervt, aber zeugen von einem selten gesehenen Grad an Betriebsblindheit, Arroganz und Kundenmissachtung.



Wenn ich mutmaßen soll, hat Garmin versucht zwei Dinge zu adressieren: Das spröde Erscheinungsbild der bisherigen Ansichten und die Lernkurve, die zu überwinden war, bevor man eine sinnvolle Ansicht erhielt, von den Dashboards ganz zu schweigen. Diese beiden Punkte stehen der Ansprache einer breiteren Kundenschicht im Weg.
Einige Foristen vermuten zwar die Vorbereitung auf Premium-Services, aber Garmin würde mit einem Abo-Modell gegen Firmen antreten müssen, die ihre KI-Probleme bereits gelöst haben und jeder Schluckauf bei der Cloud oder Software wird so schmerzhaft wie die jetzige Situation und die heftigen Preisaufschläge der höheren Uhrenserien, also Fenix, Marq, Epix und Descent dürften dann am Markt kaum realisierbar sein.

Letztlich hilft diese Betrachtung bei der Findung einer Lösung auch nicht weiter. Garmin versucht es aktuell mit Aussitzen, so wie Microsoft es versucht hatte, als man mit Windows Phone auf die iPhones antwortete und die User von Windows Mobile 6.5 kommend an einen schlechten Scherz glaubten. Das hielt am Ende zwar 10 Jahre durch, aber endete im Nichts.

Garmin hatte das Redesign im Januar auf der CES vorgestellt und alle Kritik nach dieser Vorstellung und während der Beta-Testphase augenscheinlich ignoriert. Es riecht nach dem Versuch sich wie Fitbit (Alphabet) Ende letzten Jahres neu aufzustellen, die Ende letzten Jahre eine ähnliche Vereinfachung ihrer Schnitstellen vornahmen. Allerdings haben selbst die Fitbit-User, die eher nicht als ernsthafte Athleten bekannt sind, am Ende 5 Updates in kurzer Folge durchgesetzt. Ob es Fitbit retten wird, ist eher fraglich.
Im konsumeristischen Bereich hat Garmin laut der üblichen Verdächtigen kaum Markanteil, die großen Marken sind Apple, Huawei, Fire Boltt, Xiaomi und Samsung. Jede dieser Firmen hat mehr Leute in der Softwareabteilung als Garmin insgesamt und mit Apple als Ausnahme nutzen alle WearOS.

Garmin wird sich nicht erlauben können, über ein Jahr Arbeit entwerten zu können und mit Sicherheit wird niemand bei Garmin diese Entscheidung treffen oder verteidigen wollen. Daher wird man auch nicht auf einen Rollback setzen können.

Auf der Kundenseite sieht es anders aus. Die Läufer und Radfahrer nutzen eh schon mehrheitlich Strava und die Garmin Software-Welt maximal um eine andere Oberfläche auf die Uhr zu laden. Bleiben Triathleten, Taucher und Lifestyle-User.
Die Taucher sind entweder Urlaubstaucher oder haben eh einen „richtigen“ Tauchcomputer in der Größe eine Gameboys, nur halt wasserdicht. Die Lifestyleuser haben gerade gehört, dass sie „Achtsamkeit“ machen sollen. Dafür ist eine Oberfläche, die ihnen wahllos 29 Metriken um die Ohren haut kontraproduktiv und auf einen Multisportler kommen etwa 100 Lifestyleuser. Damit ist es ungefähr klar, auf wen sich die Garmin-Programmierer konzentrieren werden .

Allerdings werden in nahezu allen PR-Shots von Garmin Leute gezeigt, deren Zeiten man recht schnell googlen kann. Multisportler sind eine sehr vokale Gruppe. Sie zu verprellen kann sich schnell als Problem herausstellen, denn Garmin hat lange am Tropf der Fenix-Käufer gehangen, als im Portfolio keine Rezepte gegen damals Polar und Fitbit waren und der Smartwatch-Trend kann schnell wieder abebben. Im „Westen“ schrumpft er schon und die noch wachsenden Märkte fokussieren sich eher auf sehr preiswerte WearOS-Geräte bei denen Garmin erst beim 3-fachen Preis gegenüber Parya und Amazfit einsteigt.

Ich für meinen Teil meide die Web-Version um niemanden im Hause Garmin Munition für eine Behauptung von Interaktion zu geben.
Die Mobil-App habe ich auf 4.77 zurückgestuft und warte auf die Fixes. Die Kompromissvorschläge der Gemeinschaft sind ziemlich konkret und erscheinen einfach umzusetzen, auch wenn die Ähnlichkeit zu einer Lifestyleoberfläche dann nur noch homöopathisch gegeben ist. Andererseits: Seit 5 Jahren wünschen sich die User eine automatische Zuordnung der Fahrräder anhand der Sensoren und werden von Garmin ignoriert.

Sollte Garmin die Kunden ignorieren, werde ich Garmin ignorieren und trainiere wieder mit Crosstrainer.ca.


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