Falk Dübbert

Immer, wenn ich auf Twitter denke, „es wird schon gehen“, findet Elon Musk eine neue Möglichkeit nicht nur der Plattform, sondern auch dem sozialen Netzwerk dahinter zu schaden. Die Stimmung war bereits seit „let that sink in“ bestenfalls seltsam.

Schmunzeltwitter war auf einen Schlag klinisch tot. Die Accounts, die eine leichte, erhellende und lustige Stimmung transportierten, waren inaktiv.
Man kann überall Cocooning beobachten, das sich als Rückzug in Schloss-Accounts und reine DM-basierte Kommunikation zeigt.

Elon öffnete die Schleusen zur Werbehölle. Es wurde nicht nur mehr sondern geradewegs fragwürdig. Dropshipping-Accounts mit sehr billigen Knock-Offs waren eher die Lichtblicke. Die Masse waren ETF-Scams bis AI-Porno-Anbieter. Das kann evtl. am Targeting liegen, aber es zeigt, wie verzweifelt die Lage bei Twitter sein muss.

Dazu muss man sagen, dass Twitter vor Elon Musk zwar angesichts der Schulden zuwenig, aber immerhin zählbares Plus erwirtschaftete. Elon hat nicht nur dieses Plus in ein fettes Minus verkehrt, sondern wirklich alle Werbe-KPIs geradezu gekillt.

Twitter hatte einen schmalen Stück vom Socialmedia-Kuchen, aber die Marken-Interaktion war schon immer ein Handel mit Mischwaren. Mit Elons Eskapaden wurde es immer weniger attraktiv sich auf Twitter über Ankündigungen hinaus zu zeigen. So ist zum Beispiel die ganze Derby-Cycles Gruppe von Twitter verschwunden. Auch die meisten Marken der Pon Holding, wie Trek, Cervelo und andere haben (z.T. schon länger) ihre Materialwagen gepackt und konzentrieren sich auf Youtube, Instagram und Facebook. Andere Branchen beobachte ich weniger weniger.

Mit der Berufung von Linda Yaccarino als CEO von X und Twitter, bestand ein wenig die Hoffnung, dass Elon Musks Querschüsse aufhören würden und einige Marken, vor allem aus dem KFz-Bereich, zeigten sich kurzfristig wieder.
Das hielt nur kurz, denn die Plattform wurde instabil und Elon wäre nicht Elon, wenn er die Schuld nicht bei anderen suchen würde. Bot-Armeen linker Aktivisten würden Twitter überfordern. Diese sind gegenüber russischen Trollfarmen zwar verschwindend klein, aber Elons Lösungen zirkulierten um sein „Twitter Blue“ Abo-Programm und immer mehr Einschränkungen für nicht-Abonnenten.

Auch hier zeigt sich, dass Elon weder das alte noch ein kommendes Social-Media-Geschäft verstanden hat.

Marken kauften sich den Kanal als ungefilterten Zugang zu Kunden und gemessen wird in Interaktionen und Verstärkungseffekten. Die Kunden zahlten mit Zeit und den für das Targeting notwendigen Daten. Das klappte bis etwa 2012. Dann setzte etwas Ernüchterung ein und die Markenlenker legten die üblichen Maßstäbe auch an die zuvor sakrosanten Social-Media-Marketing-Maßnahmen an. Ein erster Exodus begann, damals angeführt u.a. von Lush, Bottega Veneta und TESLA.

Mittlerweile sehen die Social-Media-Maßnahmen genauer auf die Zielgruppe ausgerichtet aus und man sieht mehr „Bekenntnis zum Branchenführer“. Twitters Pfund war es aber, die Echokammer der Journalisten und Wasmitmedien zu sein und dieses Monopol konnten weder tiktok, Youtube, Instagram noch LinkedIn aufbrechen.

Dann kam Elon Musk, der sich Twitter-Anteile gekauft hatte, weil er Donald Trumps öffentliche Twitter-Hinrichtung gesehen hatte und sich gegen Permbans gefeit wissen, mit Kaufaussagen den Kurs hochtreiben, sich aus denen herauswieseln und sein so Investment vergolden wollte. Nur hatte er die Rechnung ohne den anderen Alpha Male Jack Dorsey gemacht. Dessen bzw. Twitters Anwälte hatten etwas getan, das Elon noch nie widerfahren ist: Sie haben ihn auf seine Aussagen festgenagelt.

Es gab keine Möglichkeit für ihn, aus der Sache als Sieger und nicht als Verlierer herauszukommen. Die bisherigen Twitter-Anleger haben Elon komplett über den Tisch gezogen und alles, was sie dafür tun mussten, war zuzuschauen und an der richtigen Stelle den Finger in die Wunde legen.
Jetzt aber versucht er das Schisma der anderen Kränkung in seinem Leben zusammen mit dieser auszumerzen.

Bei dem Investment, bei dem er zusammen mit Peter Thiel und Confinity seinen damals geplanten Online-Bezahldienst X.com und Confinity zu Paypal verschmolz, wurde er schon mal für inkompetent erklärt. Im Grunde war keine seiner X Ideen noch sein geliebter Buchstabe X in das spätere Produkt Paypal übernommen worden. X war in Tests als Marke gegenüber PayPal unterlegen.
Seine „App“ war nicht nur unsicher, sondern auch bereits vom Konzept her anfällig für Scheinkonten und Fehlbuchungen.
Und Elon wollte den Gerüchten zufolge den Code von Paypal – defensiv in ANSI C unter Unix geschrieben – umschreiben (lassen), damit er unter Windows läuft.

Max Levchin hatte irgendwann genug und nachdem sich zeigte, dass Musk gar nicht der Statthalter von Thiel war, musste Musk achtkantig gehen.

X.com, zweiter Versuch. Vorlage WeChat.

Elon Musk ist neidisch auf Tencent, das Unternehmen, das 1998 gegründet wurde und aktuell 480 Mrd Umsatz macht. ( ja! 1,25 mal Apple.) Angefangen mit dem Chat-Programm OICQ später QQ, das sowohl Microsoft ComicChat als auch ICQ kopierte, verkaufte Pony Ma seine erste Software, weil er sich die neuen Server für die große Anzahl Benutzer nicht leisten konnte.
Mit der Erlösen starteten er und seine Mitstreiter dann „Pinyin“ oder später „WeChat“. Diesmal achteten Ma und seine Mitstreiter auf eine einfache Skalierbarkeit und einen modularen Aufbau. Das Protokoll war von Anfang an auf ressourcenschonende Kommunikation und geringen Bandbreitenverbrauch ausgelegt.
Mit seinem Launch in 2011 hatte WeChat genau den Zeitpunkt des Mobil-Booms erwischt und in China mit den günstigen Knock-Off-Geräten war Speicher extrem knapp also waren die User gezwungen die Anzahl der Apps gering zu halten und nutzten jede Zusatzfunktion von WeChat bereitwillig, weil sie ihnen ersparte, weitere Apps zu installieren. Dazu fremdelten die westlichen Anbieter mit dem chinesischen Markt bzw. der Zugang blieb ihnen verwehrt. TenCent führte zunächst integriertes Casual Gaming ein, dann wurde das Chatprotokoll für Bestellfunktionen erweitert, Fahrkarten und Bezahlfunktionen kamen viel später. Aber es waren stets naheliegende Felder oder solche, die china-spezifisch für große Kundenmassen unerreichbar waren, weil zum Beispiel im PlayStore nicht mit Chinesischen Kreditkarten bezahlt werden konnte. Das ermöglichte Tencent eine lange organische Wachstumsstrecke über 12 Jahre.

Ob Elons X jemals Paypal, die ihn gefeuert haben, oder Apple Pay verdrängen können wird, lasse ich dahingestellt. Das Fenster für ein zweites WeChat ist aber längst zugefallen.
Einzig Amazon, Google oder Apple hätten die Kraft, eine solche Plattformstrategie darzustellen und Apple verfolgt diesen Gedanken auch, während Google sich von weniger profitablen Produkten trennt und den Rest in Freemium-Modelle umwandelt. Amazon hat viele Projekte des Platformings eingestellt.
Es ist im Westen außerdem so dass es für jede Sparte schon einen unangefochtenen Platzhirschen gibt und Verdrängungen wie damals mit MySpace sind selten. Als Zahlungsdienstleister ist Apple Pay die Nummer 1, gefolgt von Paypal und Klarna. Sie machen allein durch die Gebühren mehr Umsatz als Twitter insgesamt und haben nur für die Zahlfunktion mehr Mitarbeiter als Twitter jemals hatte. Dazu ist der Markt streng reguliert und Elons Hang zu Fake it till you make it wird bei den Behörden nach Wirecard nicht ziehen. Auch das hätte Elon Musk klar sein können.


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