Was tun, wenn es drüben brennt?
USA, Wirtschaftskrise, AI-Bubble, Resilienz
Angesichts der Nachrichten aus den USA und den Nachbarländern bin ich ja versucht zu sagen „Meine Herren, es war mir eine Ehre, heute Abend mit Ihnen zu spielen.“ aber ich habe meine Trompete seit über 20 Jahren nicht mehr ernsthaft angefasst und fürchte, dass, egal welche Umstände vorliegen, niemand die Geduld hätte, mit mir irgendein Lied anzustimmen. Somit bleibt es bei genug Abstand halten vom sinkenden Schiff.
Wir haben die erste Lesung des NIS2UmsuCG erlebt und werden das NIS2-Umsetzungs-und-Cybersicherheits-Gesetz noch dieses Jahr erleben. Allerdings ist der Risikobegriff vieler und auch in diesem Gesetz noch viel zu eng gefasst.
Denn Resilienz muss man nicht nur gegenüber Hackern, Defekten, Infrastrukturversagen oder Elementarproblemen aufbauen sondern auch gegenüber abstrakteren Gefahren wie der Klimaveränderung, Wegfall kritischer Lieferanten oder politischen Veränderungen.
Im Enterprise-Software-Bereich war das Desaster durch die Broadcomm-VMware-Übernahme absehbar.
Denn mit CA und Symantec waren genug Messpunkte vorhanden. Die Implosion von Symantec passierte zwar schon vor 2019, aber das Drehbuch bei Broadcomm war unverkennbar das gleiche wie jetzt bei VMware. Kunden, die sich in einen Vendor-Lock-In begeben hatten, sahen sich gewaltigen Veränderungen im Preisgefüge gegenüber. Günstige Produkte fielen weg. Gleichzeitig wurde sehr viel Personal freigesetzt. Die Produkte blieben ohne Innovation stehen aber wurden extrem teurer, bis alles es geschafft haben, auf Alternativen zu wechseln.
VMware hat vorher schon einige Züge nur so gerade erwischt und wir sind gerade an der Kante zur neuen Generation von IT-Betrieb, wenn die AI-Blase endlich mal geplatzt ist.
Die Zeit nach 2008 brachte uns den Durchbruch der Virtualisierung, weil teure Hardware-Ressourcen maximal genutzt werden mussten. Danach virtualisierte man weiter, um einfacher aus der Ferne administrieren zu können.
Jetzt erleben wir mit reichlich Dämpfung durch die Pandemie-Abmilderungsmaßnahmen und den AI-Hype bald die nächste Phase extrem kostenbewusster IT. Anders gesagt: Es ist Krise.
Die Cloud wird schon seit 10 Jahren totgesagt, aber das Geld sitzt nicht mehr so locker. Bei den Cloud-Lizenzen gibt es nicht mehr „alle Cloud-Produkte für alle“. Zwar hat der eigene Serverraum kein Comeback, aber Cloudspeicher oder Backup-to-Cloud werden schwer verkaufbare Artikel.
Die Hersteller reagieren mit einer Verkleinerung des Portfolios auf renditestarke Produkte und viele Bedarfe werden nicht mehr von der bislang als A-Liga empfundenen Riege bedient. Die Open-Source Initiativen einiger Bundesländer und öffentlicher Stellen in Europa sind nicht auf realitätsfremden Idealismus gebaut, sondern der naheliegende Schritt, wenn man das Risiko implodierender Angebote entschärfen will oder muss. Der Exchange Server Nachfolger, der nur noch als Abo zu haben ist, passt vielen nicht in die Kostenstruktur um Microsoft erzeugt mit diesem Schritt viele Kostenstellenverantwortliche, die den Satz „niemand wurde jemals gefeuert, weil er Microsoft kaufte“ nicht gänzlich unterschreiben würden
Aktuell ist die Frage noch nicht die, ob Cloud-Provider die Cloud betreiben können, sondern die, ob die US-Hersteller der Software darin und darunter ausreichend Zugang zu Personal haben, wenn es darum geht, Lücken schnell zu schließen oder Produkte weiterzuentwickeln.
Bei VMware by Broadcomm wird man nach dem mehrfach durchgeführten Personalabbau und mit dem Verkauf, Rückkauf und Teil-Wiederverkauf von Pivotal sehen, wo Projekt Tanzu in zwei Jahren stehen wird. Der klassische Hypervisor ist von VMware bereits vor der Übernahme quasi entleibt worden. Wer „nur“ virtualisieren will, hat jetzt schon günstigere Alternativen zur Verfügung.
IT-Leute sind risikoscheu und abergläubig, aber die benötigte Leistung für ein Viertel der Lizenz- und Supportkosten wird einige von einer KVM-Geschmacksrichtung überzeugen. Es ist auch so, dass die „große Enterpriseanwendung“ und das Office-Paket gerade den Tod der 1000 Schnitte stirbt.
An die Stelle der Dickschiffe rücken immer mehr Web-Applikationen, die auf Server-Seite als Docker-Image betrieben werden.
Der wesentliche Unterschied zu klassischen Anwendungen ist, dass Docker-Images parallel betrieben werden können, ohne dass jedes Image ein ganzes Betriebssystem benötigt, trotzdem Code-Separation hat, und man Zugriff auf die Skalierungstechnologien der Web-Hipster hat und Backup als Datenbank-Dump eine Funktion der Datenbank ist. VMware hat nie einen nativen Weg gefunden, Docker-Images einfach auszuführen und müsste viel Arbeit leisten, um weiterhin als relevant wahrgenommen zu werden. Die Docker-Integration von VMware hat die Komplexität immer jeweils gesteigert.
Jetzt hat Broadcomm aber die besten Seiten der Peter Thiel und Elon Musk Business Akademie angewandt und das Personal auf den Stock zurückgeschnitten. Das wäre kein großes Thema, wenn die US Administration den Zugang zu internationalem Talent nicht unendlich erschwert hätte. Jetzt ist es für US-Firmen nicht mal Geld möglich, schnell Lücken im Personalbestand zu füllen, wenn man auf tiefgreifende Lücken oder neue Trends reagieren muss und andere Skills braucht. Während das Commonwealth insbesondere UK, Kanada und Australien gerade leichten Zugang zu indischen und afrikanischen Absolventen haben und den auch nutzen, implodiert der Bewerberkreis internationaler Spitzenleute und Berufseinsteiger in den USA. Die USA sind aktuell, was Menschen mit akademischer Bildung angeht, sogar Netto-Auswanderungsland.
Viele vergleichen das Project2025-Amerika mit Nord-Korea, dabei passt Italien der 30er oder Argentinien der späten 70er und frühen 80er deutlich besser. Argentinien war in den 50ern extrem reich aber der nationalistisch-autokratische Kurs der Videla-Junta war zwar bei den (US-)„Falken“ beliebt, aber führte zu einer schlagartigen Implosion der exportabhängigen Wirtschaft und quasi Vernichtung der Außenhandelsbilanz abseits des Öls.
Es gehört schon einiges an Optimismus dazu, zu glauben, dass die USA ohne tiefgreifenden Schaden aus der jetzigen Phase hervorgehen. Und, meines Erachtens werden wir relativ schnell eine Wachablösung bei den Branchenprimussen sehen. Ich gehe davon aus, dass weltweit kein US-Software-Konzern der Innovations- und Finanzkraft von Tencent irgendetwas entgegensetzen kann und gegen Xiaomis Integrationstiefe und Produktweite wirkt Apples „Magie“ wie ein Projekt aus einem Drittsemester-Praktikum.
Microsoft hat zum Beispiel alles auf die Zukunft von AI nämlich Copilot (Pro) gesetzt. Alle Produktteams mussten mit Copilot programmieren und Copilot in ihre Produkte integrieren und alle Teams außer Copilot wurden verkleinert bis aufgelöst. Während die LinkedIn-„Experten“ CoPilot noch sehr stark feiern, scheitern die Ergebnisse im Realitätsabgleich noch krachend. Copilot-Texte und Präsentationen sind selbst im Englischen sehr schnell erkennbar und immer mehr Firmen stellen selbst die Gratis-Funktionen von Copilot per Sicherheitsrichtlinie wieder ab. Vielleicht hätte man die AI nicht mit so viel Mittelmaß von LinkedIn und Scribd trainieren sollen.
Microsoft ist nicht alleine: Oracle, Meta, Amazon und Apple wollen neben OpenAI in der AI-Spitzenliga mitspielen.
Wie beim Goldrausch, verdienen aber die, die Schürfkellen verkaufen, am meisten. Hier ist es NVidia.
Was passiert aber, wenn die AI-Blase platzt? Sind echte Programmierer dann ausgestorben wie die Ureinwohner in Kalifornien? Und wer füllt die Lücken? Ab 1860 importierten die USA massiv chinesische Arbeitskraft, um beim Bau der Eisenbahnen und neuen Städte die jungen Männer zu ersetzen, die dem Gold nachjagten. Das erscheint mit der jetzigen Regierung unwahrscheinlich.
Es gibt ein jüngeres Beispiel und zwar den Glasfaser-Rausch der 90er und Nuller-Jahre, der unter der Dotcom-Blase lag. Ab 1994 bauten die Netzwerk-Hersteller, allen voran USrobotics, 3com, Nortel und Cisco massive Produktionskapazitäten für Glasfaser- und Netzwerk-Hardware auf. Da sich die Internet-Kapazitäten seit der weltweiten Verfügbarkeit des Internets ab 94/95 jährlich vervierfachten, gab es im Grunde keine Grenze. Aber bereits 1999 erreichte der Bandbreitenhunger im Internet sein erstes Plateau und fiel von exponentiellem auf lineares Wachstum zurück.
Wer sich an dotcomtod.de erinnern kann, ist alt, ist aber in der Situation des Blumentopfs im Hitchhiker und kann nur „nicht schon wieder“ denken.
Der Goldrausch sorgte für eine Ansiedlung vieler junger, gesunder Männer, die keinen Agrar-Hintergrund sondern eher Vorbildung aus dem europäischen Bergbau und Handwerk hatten, in Kalifornien und auf lange Sicht für die wirtschaftliche Dominanz des Staates, während die meisten anderen Staaten abseits der Ostküste primär Agrarstaaten blieben. Die 90er legten den Grundstock für das Internet als globalen Standard, der BTX, Minitel, AOL und Co überwand. Aber es war je eine Blase, deren Platzen gewaltig war.
Es ist auch immer die Frage, wie ein Land gerade aufgestellt ist, wenn es um die Bewältigung einer Blase geht. Der Goldrausch brachte neben Arbeitskraft viele stahlverarbeitende Betriebe mit sich, die den Grundstock der Kalifornischen Industrialisierung legten und die USA konnten durch Expansion heilen, dennoch gab es erstmal eine Hungerkrise und einige Krankheiten, die sich ausbreiteten und neben den ethnischen Säuberungen durch Siedlergruppen für die Stämme der Hokan, Penutian, Chumashan und Anderen fast die Ausrottung brachten.
Die Dotcom-Blase 150 Jahre später besiegelte das Ende der US-Unverwundbarkeit und die Auswirkungen strahlen zum Teil bis heute aus. Intels oder HPs Probleme aus der Zeit haben sich nie wirklich gelöst. Bush/Cheney hatten den Bubble-Zyklus (Displacement, Boom, Euphorie, Nachfragelücke, Panik) nicht erkannt und selbst wenn, hätten sie kein Rezept gehabt, den Zyklus zu durchbrechen, außer die Notenpresse anzuwerfen, was sie auch versuchten bzw. taten.
Das Platzen der AI-Blase jetzt würde aber auf eine USA am Rande zum Bürgerkrieg ohne finanziellen Spielraum mit hauchdünnen Mehrheiten in Kongress und Senat treffen und diesmal alle großen Unternehmen der New-Economy aus der Bahn werfen.
Dazu ist auch die notwendige Kompetenz mit einer Krise und massiven Wertberichtigungen einer ganzen Branche umzugehen in der aktuellen US-Regierung gerade nicht erkennbar. Eine Implosion würde auch das Problem mit sich bringen, dass die Mittel um darauf zu reagieren nicht zur Verfügung stehen. Die Auswirkungen für Kunden dürften auch in Europa massiv werden, wenn z.B. Rechenzentren konsolidiert werden müssen, weil der implodierende Dollar ein Techrefresh unmöglich macht, aber vor allem wird die Produktvielfalt und Güte leiden. Machthaber Trump hat nicht nur Zölle auf alles angekündigt oder eingeführt, sondern will auch die Auslagerung von Produktion und den Bezug von Leistung aus dem Ausland besteuern. Der Unilateralismus, den er verfolgt, führte 1929 zur Wirtschaftskrise und die US-Wirtschaftwunderjahre ab 1949, lagen vor allem daran, dass die USA den Krieg bis auf ein paar U-Boot-Angriffe an der Ost-Küste und Pearl-Harbour von ihrem Staatsgebiet fernhalten konnten. Dadurch hatten sie etwa 20 Jahre ein Quasi-Monopol auf Industrielle Produktionskapazität, bis sie durch fehlende Innovation und Aktien-Überbewertung 1987 in den Crash vom „Black Monday“ fielen.
Selbst wenn bereits die Deutsche Bank eine Nachfragelücke von 800 Mrd. USD erkennt, kann man über die Eintrittswahrscheinlichkeit einer platzenden AI-Bubble noch streiten, aber man sollte das Risiko zumindest qualitativ erkannt haben und quantitativ beziffern können. Aktuell ist die Beobachtung, dass die US-Wirtschaft nur durch NVidia zusammengehalten wird und auch nur durch NVidia wächst.
Die Fragestellungen dafür sollten sein:- Welche US-Produkte und Dienstleistungen sind für mein Geschäft missionskritisch?
- Wird der Anbieter durch eine platzende Bubble Probleme bekommen, einer US-Rezession oder von EU-Vergeltungsmaßnahmen auf Zölle (Digitalsteuer, Zölle) betroffen sein?
- Welche Alternativen gibt es und was kosten diese?
- Was kostet mich die Umstellung und bin ich dabei auf Mitwirkung des Dienstleisters oder Herstellers angewiesen?
- Habe ich die notwendige Infrastruktur und das Personal?
- Wie lange wird die Umstellung dauern und mein Ergebnis belasten?
Im Bereich Microsoft 365 sind viele Unternehmen eigentlich zufrieden mit der bisherigen Lock-In Situation. Dadurch, dass im Grunde niemand ernsthaft Alternativen antestet oder gar einführt, gab es bislang keine Entscheidung zu fällen und Microsofts Preiserhöhung / Shrinkflation um 30% alle zwei Jahre ist zwar ärgerlich, aber liegt nicht in der Einflusssphäre der IT-Verantwortlichen. Das ist die sehr deutsche Sicht mit ihren geregelten Zuständigkeiten.
Mittlerweile, gibt es aber Absetzbewegungen und erstaunlicherweise sind es die öffentlichen Stellen, die hier vorangehen.
Das hat zum einen mit der Kultur und den Personenkreisen zu tun, die Unternehmen im mittleren Management anziehen und deren Entsprechungen im öffentlichen Dienst. „Mut“ treiben die Firmen ihren Angestellten schnell aus, während der Geldmangel im öffentlichen Bereich zu so etwas wie Mut der Verzweiflung führt. Außerdem haben Überzeugungstäter in der Enterprise-IT keine Überlebenschance während sie im der öffentlichen Verwaltung hin und wieder einen Lucky Hit erzielen.
Das Münchner „Limux“ wurde noch durch die hinzugezogenen Systemhäuser erst verwässert und dann durch Geldmangel vor die Wand gefahren. Es krankte aber auch am falschen Heilsversprechen, dass man mit Linux die alten Möhren-Rechner weiter benutzen könnte.
Andere Projekte mit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit waren Kolab im BSI, die Umstellung auf Libre-Office im Österreichischen Bundesheer, Matrix beim BBK und THW, Ceph-Cluster im ITZ-Bund und jetzt neu die Open-Source-First-Initiative in Schleswig-Holstein. Hier wurde jeweils dem Branchenführer die Tür gezeigt und sie haben weniger ambitionierte Umfänge, aber ihre Erfolg und die Erfahrungen dürften bei der Beantwortung der sechs Fragen oben helfen.
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